Mittwoch, 28. März 2012

Sessionauftakt - eine Nachlese ...


Die Pianistin Mary Lou Williams über eine der legendären Sessions im Kansas City der 30-er Jahre:  

"Es sprach sich herum, dass Hawkins im Cherry Blossom war, und es war kaum eine halbe Stunde vergangen, da hatten sich  Lester Young, Ben Webster, Herschel Evans, Herman Walder und ein oder zwei unbekannte Tenoristen im Club versammelt und wollten blasen. "Bean" Hawkins hatte nicht damit gerechnete, dass die Kaycee-Tenoristen so gewaltig waren, und war unsicher und konnte keine rechte Linie finden, obgleich er den ganzen Morgen spielte.
Zufällig schlief ich die Nacht, und um vier Uhr morgens wachte ich auf; jemand klopfte an meine Verandatür.
Ich öffnete das Fenster und sah Ben Webster. Er sagte: "Steh auf, Schnuckiputz, wir jammen, und alle Pianisten sind inzwischen am Boden zerstört. Hawkins hat sich sein Hemd ausgezogen und bläst immer noch. Du musst sofort runterkommen."
Und genauso war es. Als wir ankamen, stand Hawkins im Unterhemd da und kreuzte die Klingen mit den Männern aus Kaycee. Offenbar war ihm hier etwas begegnet, womit er nicht gerechnet hatte.

Ganz so war es bei der ersten Session am 17. März nicht - es war nämlich kein Kräftemessen, kein Wettbewerb, zu dem sich zahlreiche Musiker und viele Zuhörer getroffen hatte. Die "Baßgeige" war brechend voll - tatsächlich kamen einige Gäste nicht  hinein. Brodelne Atmosphäre, aufgeregte junge und alte Instrumentalisten - und mit Hans-Christian Hasse ein rühriger Organisator. Mit einem Quartett spielte er zu Beginn des Abends drei Stücke zum Anheizen, anschließend gab er die Bühne für die Session frei. Viele hatten sich bereits bei dem Pianisten angemeldet und sich für ausgewählte Stücke eintragen lassen. Hans-Chrsitian Hasse managte dann den Ablauf und stellte Sessionsbands zusammen. Das war glücklicherweise nicht schwer: Es waren zwei Bassisten da, vier Schlagzeuger, ebenso viele Pianisten; dazu zahlreiche Holzbläser, ein Posaunist, ein Flügelhornspieler und eine wunderbare Sängerin. Viele Musiker einschließlich ihrer Namen kannte ich nicht, weshalb ich an dieser Stelle auch diejenigen nicht nenne, die ich - teilweise seit vielen Jahren - kenne. Ziel der Session war und ist es, Musikern Spielmöglichkeiten zu geben und Kontakte zu schaffen. Die Session soll sozusagen das Dunkelfeld der Braunschweiger Jazzszene aufhellen. In Ansätzen ist das bereits beim ersten Mal geglückt. Am Donnerstag, 26. April, wird die Reihe im Viertelnach fortgesetzt. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
Übrigens: Ich hatte in dieser Woche mit einer Band älterer Musiker (ich gehöre selbst ja auch dazu) eine Probe und habe über die tolle erste Session berichtet. Es zeigte sich im Gespräch, dass viele Amateure unsicher sind und Bedenken haben, an einer Session teilzunehmen. Sie befürchten, sie könnten qualitativ nicht mithalten und würden sich einem Wettbewerb stellen müssen. Diese Befürchtung braucht - auch nach den Erfahrungen der ersten Session - niemand zu haben. Die Musiker gehen kollegial-konstruktiv miteinander um und unterstützen sich. Wir sind schließlich in Braunschweig und nicht in Kansas City.  

Das Zitat am Anfang des Textes stammt aus: Shapiro, N., Hentoff, N.: Jazz erzählt, München 1962  

Thomas Geese